Plötzlich schwanger im Team – und jetzt?
Eine Schwangerschaft im Unternehmen ist keine Ausnahme – und dennoch herrscht oft Unsicherheit darüber, was nun zu tun ist.
Muss die Mitarbeiterin den Betriebsarzt informieren? Wie läuft das mit dem Mutterschutz? Gibt es ein Beschäftigungsverbot?
Für Führungskräfte und Personalverantwortliche ist es wichtig, strukturiert und mit Respekt zu reagieren. Denn eines ist klar:
Eine Schwangerschaft ist kein Problem, sondern ein natürlicher Teil des Arbeitslebens – wenn man gut vorbereitet ist.
1. Wer muss was wann melden – und wie läuft das ab?
Sobald eine Mitarbeiterin von ihrer Schwangerschaft erfährt, kann sie das freiwillig mitteilen – idealerweise frühzeitig, um ihren Mutterschutz zu gewährleisten. Eine gesetzliche Pflicht zur Offenlegung besteht nicht. Der Betriebsarzt darf von sich aus nicht nach einer Schwangerschaft fragen.
Meldung an die Führungskraft oder Personalstelle
Die Mitarbeiterin informiert ihre direkte Führungskraft oder die Personalabteilung. Dort wird die Information – mit ihrem Einverständnis – weiterverarbeitet.
Meldepflicht in Berlin: Landesamt für Arbeitsschutz (LAGeTSi)
In Berlin besteht eine gesetzliche Pflicht für Arbeitgeber:
Nach § 27 MuSchG muss jede Schwangerschaft an das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LAGeTSi) gemeldet werden.
Die Anzeige enthält unter anderem:
persönliche Angaben zur Mitarbeiterin
Arbeitszeiten und Tätigkeitsbeschreibung
Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung
Kontakt zum Betriebsarzt, falls eingebunden
Aller relevanten Formulare finden sich auf der Website des LAGeTSi und können heruntergeladen und per Fax oder elektronisch übermittelt werden.
https://www.berlin.de/lagetsi/service/eamt/formulare/mutterschutz-formulare-1383210.php
2. Warum der Betriebsarzt eingebunden werden sollte
Auch wenn die Mitteilung einer Schwangerschaft zunächst an die Führungskraft oder Personalabteilung erfolgt, sollte möglichst frühzeitig der Betriebsarzt hinzugezogen werden – mit Zustimmung der Mitarbeiterin.
Ziel ist es nicht, eine Beschäftigung zu verhindern, sondern sie unter sicheren Bedingungen zu ermöglichen.
Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung
Gemäß § 10 Mutterschutzgesetz (MuSchG) ist der Arbeitgeber verpflichtet, im Rahmen der bestehenden Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) die Arbeitsbedingungen auch unter dem Gesichtspunkt einer Schwangerschaft zu bewerten.
Diese Beurteilung muss unabhängig vom Einzelfall bereits vorliegen – wird aber bei Bekanntwerden einer Schwangerschaft individuell überprüft und angepasst.
Rolle des Betriebsarztes
Der Betriebsarzt sollte eingebunden werden, weil er mit medizinischer Fachkunde helfen kann, unverantwortbare Gefährdungen zu erkennen und geeignete Schutzmaßnahmen zu empfehlen. Dazu zählen z. B.:
Umgestaltung des Arbeitsplatzes
Anpassung der Arbeitszeit
Ausschluss bestimmter Tätigkeiten (z. B. Umgang mit infektiösem Material)
Er trägt damit aktiv dazu bei, dass die Mitarbeiterin nicht automatisch in ein Beschäftigungsverbot geschickt werden muss, sondern möglichst gesund weiterarbeiten kann.
3. Gefährdungen in der Schwangerschaft – was ist relevant?
Zentraler Maßstab im Mutterschutz ist: Darf die Tätigkeit fortgeführt werden, ohne Mutter oder Kind zu gefährden?
Entscheidend ist dabei, ob eine sogenannte unverantwortbare Gefährdung (§ 9 MuSchG) vorliegt.
Ob eine solche Gefährdung besteht, hängt stark vom Arbeitsplatz ab. Besonders betroffen sind Berufsgruppen mit körperlicher Belastung, Infektionsrisiken oder Schichtarbeit. Hier einige typische Beispiele:
Pflegekräfte
Körpernaher Kontakt zu Patient:innen
Infektionsgefahr (z. B. Hepatitis, CMV, MRSA)
Heben und Tragen
Nachtdienste
Erzieherinnen / Kitas
Risiko durch Kinderkrankheiten (Ringelröteln, CMV, Windpocken)
Lautstärke / Stress
häufiges Bücken, Heben, Sitzen am Boden
Lehrkräfte
Kontakt mit großen Gruppen
mögliche Infektionsrisiken
Konfliktsituationen, erhöhte psychische Belastung
Pflege / medizinisches Umfeld
Körperliche Dauerbelastung
Umgang mit Medikamenten, Körperflüssigkeiten
emotionale Ausnahmesituationen
Labor / Produktion / MINT-Berufe
Gefahrstoffe (z. B. Lösemittel, Reagenzien)
ionisierende Strahlung, Hitze, Lärm, Vibration
Einwirkungen durch Maschinen oder technische Anlagen
📝 Wichtig: Diese Liste ist nicht abschließend.
Jeder Fall muss individuell geprüft werden – durch eine personenbezogene Gefährdungsbeurteilung im Dialog mit der Schwangeren und ggf. dem Betriebsarzt.
Was tun bei Gefährdung?
Liegt eine unverantwortbare Gefährdung vor, muss der Arbeitgeber:
den Arbeitsplatz umgestalten
die Mitarbeiterin umsetzen
ein Beschäftigungsverbot prüfen lassen, falls 1 und 2 nicht möglich sind
4. Beschäftigungsverbot – wann notwendig, wann vermeidbar?
Ein Beschäftigungsverbot ist kein Ausdruck von Krankheit, sondern eine gesetzliche Schutzmaßnahme. Es greift dann, wenn eine Weiterarbeit – auch nach Anpassung – mit unverantwortbarer Gefährdung verbunden wäre.
Zwei Arten von Beschäftigungsverbot
Ärztliches Beschäftigungsverbot
→ ausgesprochen durch Frauenärztin oder behandelnden Arzt (§ 16 Abs. 1 MuSchG)
→ basiert auf dem individuellen Gesundheitszustand der Schwangeren (z. B. Komplikationen, Blutungen, Risikoschwangerschaft)Betriebliches Beschäftigungsverbot
→ ausgesprochen durch den Arbeitgeber, meist nach betriebsärztlicher Einschätzung
→ bezieht sich auf die Tätigkeit: z. B. Umgang mit Gefahrstoffen, Infektionsrisiken, Nachtdienste
Ziel: Vermeidung durch Anpassung
Der Betriebsarzt verfolgt in der Regel das Ziel, ein Beschäftigungsverbot zu vermeiden, indem er:
konkrete Schutzmaßnahmen empfiehlt (z. B. Tragen von Handschuhen, Einsatz im Büro)
den Arbeitsplatz umgestaltet oder eine Umsetzung anregt
im Einzelfall gemeinsam mit Führungskraft, HR und der Mitarbeiterin eine alternative Tätigkeit entwickelt
Ein Beschäftigungsverbot ist also nicht der erste Schritt, sondern die letzte Option, wenn alle Anpassungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind.
Wichtig für die Mitarbeiterin
Bei Beschäftigungsverbot besteht Anspruch auf vollen Lohnersatz nach § 18 MuSchG
Keine Nachteile im Arbeitsverhältnis (z. B. Kündigungsschutz, keine Minusstunden)
Es handelt sich nicht um eine Krankschreibung – die Schwangere ist nicht arbeitsunfähig, sondern geschützt
5. Was Führungskräfte konkret tun müssen – Checkliste
Wenn eine Mitarbeiterin ihre Schwangerschaft mitteilt, ist vor allem eines wichtig: schnelles, strukturiertes und wertschätzendes Handeln. Ziel ist es, Schutz zu gewährleisten – und gleichzeitig eine faire Weiterbeschäftigung zu ermöglichen.
1. Sofort nach Mitteilung
Vertraulich und respektvoll reagieren
Keine Kommentare, kein Druck, kein „Wie lange willst du noch arbeiten?“Gespräch vertraulich halten
Keine Weitergabe der Information ohne ZustimmungKontakt zu HR herstellen
Die Schwangere über ihre Rechte im Mutterschutz informieren
2. Unmittelbar in der Folge
Überprüfung der bestehenden (anlassunabhängigen) Gefährdungsbeurteilung
→ Falls noch nicht vorhanden: Jetzt ist der späteste Zeitpunkt, sie zu erstellen
→ Gemäß § 10 MuSchG in Verbindung mit § 5 ArbSchG gesetzlich verpflichtendBetriebsarzt einbinden
→ Nur mit Einwilligung der Mitarbeiterin
→ Betriebsärztliche Einschätzung zu möglichen Gefährdungen oder SchutzmaßnahmenMeldung an das LAGeTSi Berlin (§ 27 MuSchG)
→ Formular ausfüllen (z. B. online oder per Fax)
→ Angaben zu Arbeitszeiten, Tätigkeiten, Gefährdungsbeurteilung, Kontakt zum Betriebsarzt
3. Laufend sicherstellen (nicht abschließend)
Arbeitszeitregelungen beachten:
Keine Nachtarbeit (zwischen 20:00–6:00 Uhr) ohne behördliche Ausnahme
Keine Alleinarbeit
Keine Überstunden
Arbeitsumfeld anpassen:
Möglichkeit zu Ruhepausen in geeigneten Räumen
Keine schweren körperlichen Tätigkeiten (z. B. Heben, langes Stehen)
Vermeidung von Lärm, Hitze, Stress, Infektionsrisiken
Psychosoziale Rahmenbedingungen gestalten:
Kein „schleichender Ausschluss“ aus Meetings oder Projekten
Klare Kommunikation im Team: Schwangerschaft ist kein Nachteil
Ggf. Einbindung des Betriebsrats oder der Schwerbehindertenvertretung
✅ Ziel ist ein sicheres, respektvolles und inklusives Arbeitsumfeld – ohne Benachteiligung.
Führungskräfte sind hier in einer Schlüsselrolle – nicht nur rechtlich, sondern auch kulturell.
6. Kein Betriebsarzt im Unternehmen – was tun?
Auch kleine Unternehmen oder Einrichtungen ohne festen Betriebsarzt stehen bei einer Schwangerschaft im Team in der Pflicht.
Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, eine betriebsärztliche Betreuung sicherzustellen – gerade im Mutterschutzfall.
Jetzt tätig werden – sofort
Wenn keine arbeitsmedizinische Betreuung vorhanden ist, muss der Arbeitgeber umgehend handeln, um die Gesundheit der schwangeren Mitarbeiterin zu schützen:
Kontaktaufnahme
→ Wir bieten schnelle Rückmeldung und kurzfristige Unterstützung
→ Einschätzung von Gefährdungen, Dokumentation, Beratung zur Arbeitsplatzgestaltung
Alternativ: Externe arbeitsmedizinische Dienste beauftragen
→ Auch in Berlin gibt es Anbieter, die kurzfristig Termine vergeben
→ Wichtig: Es zählt nicht, ob der Dienst bereits beauftragt wurde – entscheidend ist, dass Schutzmaßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden
Verantwortung liegt beim Arbeitgeber
Ohne Betriebsarzt entfällt nicht die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung
Auch die Meldung an das LAGeTSi ist verbindlich
Bei Untätigkeit oder Versäumnis können arbeitsrechtliche und aufsichtsbehördliche Konsequenzen folgen
Wichtig: Wenn eine unverantwortbare Gefährdung bewusst ignoriert wird und dadurch Mutter oder Kind zu Schaden kommen, kann der verantwortliche Vorgesetzte persönlich haftbar gemacht werden
Fazit: Schwanger im Betrieb – mit Respekt und Struktur begleiten
Eine Schwangerschaft ist kein Ausnahmezustand, sondern ein natürlicher Teil des Arbeitslebens. Für Unternehmen – und besonders für Führungskräfte – ist sie ein Test für eine verantwortungsvolle Unternehmenskultur.
Wer schnell, strukturiert und respektvoll reagiert, schafft Vertrauen – und schützt gleichzeitig die Gesundheit von Mutter und Kind.
Die wichtigsten Prinzipien:
Transparenz statt Unsicherheit
Verantwortung statt Abwarten
Begleitung statt Benachteiligung
Mit einer klaren Kommunikation, einer fundierten Gefährdungsbeurteilung und der frühzeitigen Einbindung des Betriebsarztes kann aus einer potenziell kritischen Situation ein starkes Signal für Fürsorge und Fairness im Unternehmen werden.